Akustische Halluzinationen

Kurzgespräch Steve Bates nach seinem Konzert am 6. Okt. 22:04
– Das war…

(Besucher aus dem Publikum): Sehr gut strukturiert!

– Diese Geräusche, über die Du gerade sprachst …

(Besucher aus dem Publikum): Gut gemacht! Du hast wirklich das volle Spektrum gebracht… von den heftigen Bässen zu kaum hörbaren Klängen.

Steve: Oh, danke.

– … sind aus akustischen Halluzinationen abgeleitete Klänge?

Sie basieren auf Geschichten über diese Halluzinationen. In einer Welt voller klanghalluziniernder Menschen gibt es keine Möglichkeit, das auf nur eine Weise zu beschreiben, also habe ich mich aus der Literatur und aus wissenschaftlichen Zeitschriften bedient.

(Besucher aus dem Publikum): Danke, Mann! Das war erschreckend gut, Steve!

Aber heut Abend schuf ich eine Geräuschkulisse, die auch wie eine Halluzination wirken sollte. Einige der Sachen, mit denen ich arbeite, sind spezielle Frequenzen, die Menschen ausdrücklich zum Zwecke der Halluzination aufzeichneten. Robert Schumann zum Beispiel erlebte in Trance ganze Musikstücke, die er dann notierte. Später in seinem Leben verschwanden diese Melodien bis auf ein A5. Und der Klavierklang dieser Frequenz war auch in meinem Stück zu hören.
Also zehre ich auch von diesen sogenannten historischen Erfahrungen, die auf unterschiedlichen Wegen Eingang in Aufnahmen fanden.

– Dann hast Du diese Klänge erforscht und wiederhergestellt? Oder sind es eher poetische Rekonstruktionen?

Es geht weniger um die Wiederherstellung als darum diese Geschichten als Inspiration zu nutzen. Manchmal ist es dezidiert… wie mit Robert Schumann und dieser A5-Klaviernote in dem Anfangsstück, die ziemlich genau bei 880 MHz liegt. Also ist einiges fast »wörtlich« umgesetzt und anderes wird als Stimmung verarbeitet.

– Ich kam mit zeitweise vor wie in einem Minimal-Techno-Klubkeller. Es gab Bezüge zu Tanzmusik.

Ja. Sogar mehr noch, wenn ich andere Stücke spiele. Das heute war eine sehr ungewöhnliche Performance. Sie basiert auf einem mehrjährigen Forschungsprojekt. Damit hatte ich 2014 begonnen und für heute Abend dachte ich, dass ich besser eine Reihe von Szenen und Skizzen vorbereiten sollte. Darum war es viel strukturierter. Sonst improvisiere ich mehr, aus dem Stegreif sozusagen.

– Als es einmal so laut war, dass die Wände wackelten, erinnerte mich das irgendwie an mächtige Naturkräfte wie Erdbeben und Donner… und an die Gefühle von Ehrfurcht oder gar Schrecken, die sie in Menschen auslösen können.

Für mich ist das ganze Feld der auditiven Halluzination sowieso sehr körperlich. Das hängt auch damit zusammen, dass es hier um die persönlichen Erfahrungen von Menschen geht. Die kann ich immer nur interpretieren. Und ich höre von den Geschichten anderer Leute, sehr kraftvolle Geschichten … Das ist auch eine Herausforderung, denn ich will mit dem Material nicht leichtfertig oder geringschätzig umgehen, denn für einige der hier Zuhörenden ist es eine sehr dramatische Angelegenheit.
Also versuche ich, während der Konzerte eine Balance zu halten.

In dieser Hinsicht ist es eine gute Sache, dass ich dieses Projekt auf viele Arten präsentiere und bespreche – und bislang jedes Mal, wenn ich es irgendwo vorgestellt hatte, kam hinterher jemand zu mir und teilte eine persönliche Erfahrung mit mir oder wusste von jemandem, der Ähnliches erlebt hat. (…)
Auch Häftlinge und Kriegsgefangene halluzinieren häufig, manchmal in Bildern, manchmal in Gerüchen. Du kannst auch Duftstoffe halluzinieren. Deshalb ist das Projekt für mich wirklich umfassend. Es lässt Dich über das Anderssein nachdenken. Letztendlich kann ich direkt neben Dir stehen und unsere Empfingungen wären sehr unterschiedlich … Ich meine, sie sind definitiv anders …

Zum Beispiel ist es hochinteressant, dass Nordamerikaner und Europäer, wenn sie Stimmen hören, oft negative Stimmen und auch mehrere gleichzeitig hören. Wie etwa: »Ich bin eine schreckliche Person, ich verdiene es nicht, am Leben zu sein.«

– Vielleicht ist es ein westliches Konstrukt der Persönlichkeit, das damit zusammenhängt?

Es ist sowohl sozial bedingt als auch kulturell. Beispielsweise gab es eine Vergleichsstudie über klanghalluzinierende Menschen, in den USA und in Ghana in Afrika, und nur die Stimmen der US-Amerikaner waren negativ, während die Ghanaer – die Studienteilnehmer – Stimmen hörten, die weniger negativ als banal waren und aus einer Alltagswelt stammten. Eine der Erklärungen ist, dass die USA eine extrem individualistische Gesellschaft sind und das Hören von Stimmen dort wirklich stigmatisiert ist. Ich spreche hier von Leuten, die eindeutig nicht schizophren sind, also nicht krank. Und das ist auch der Sinn von meinem Projekt: Ich will zeigen, dass Stimmen zu hören nicht krank ist.

Letzte Frage: Gibt es eine Partitur für Deine Stücke oder führst Du sie intuitiv auf?

Heute Abend war es, wie gesagt, eine für mich unübliche Performance. Es war eine Komposition in losen Abschnitten oder besser gesagt »Szenen«. Doch normalerweise ist meine Musik größtenteils improvisiert.

 

Übersetzung: Der Emil.