Sirenen mit Kupferperücken

3. Okt. 22:10
Was ist so schwer daran, über Klang zu schreiben – oder über Musik? Die Schwierigkeit liegt in dem Wort »über«. Beim Anhören beider Konzerte dieses Abends fühle ich mich angerührt, bewegt, durchdrungen oder auch gekitzelt. In meinem Kopf tauchen Bilder auf, während ich Joyce Hinterding zuschaue, wie sie mit diesen drahtigen »Kupferperücken« hantiert. Ich denke an meine Mutter in der Chemo, die sonst so gern alle zwei Wochen zum Friseur ging. Ich höre den Klang von Sirenen und ich sehe andere Sirenen, wunderschöne, in einem Boot vorbeirudern auf einem blendenden Ozean, der im Sonnenuntergang glänzt. Vielleicht höre ich den dunklen Klang von Kirchenglocken oder vielleicht ist es auch etwas ganz anderes. Hunger zum Beispiel oder Sehnsucht.

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Das Feld der Musik berührt die Welt der Materie und der Gedanken auf sehr individuelle Weisen. Die Leute um eine Erklärung zu bitten, was sie da eigentlich genau tun, hilft dem Hörerlebnis wenig. Hören gleicht mehr einem Traumzustand. Tägliche Begegnungen, Gespräche und Bilder tauchen auf und vermischen sich mit der umgebenden Dunkelheit.

Bei Dinah Bird und Jean-Phillipe Renoult wird mein Blick von den weißen Punkten auf seinem T-Shirt angezogen. Sie tanzen auf und ab, während die Finger über sein Instrument gleiten. Ich erinnere mich, wie Allen Ginsberg mal in Wien sein Harmonium spielte. Es war sehr sehr langsam und zu jenem Zeitpunkt fand ich es nicht gerade schön.
Weiterhin meditiere ich über die Lichtwellen, die der Bildschirm auf Dinahs Gesicht wirft… irgendwo hinter dem Regenbogen. Hunde bellen, Bienen summen, Glocken zirpen. Das Parfüm der Einsamkeit ist menschengemacht, darum wahrscheinlich ist man, von Musik umgeben, nie einsam.