1. Okt. 18:30
Auf dem Markt treiben die Leute umher, um die Stände bilden sich Strudel, nicht nur vom Regenwasser. In der Luft bilden sich ebenfalls Strudel…
„Nee, also die Walgesänge da, des war doch schrecklich! Dann ging’s wieder, so wie jetzt, da hört man noch so ne Melodie.“
Rochus Austs Konzert hat um 18:00 angefangen. Manche Leute tun so, als wäre nichts. Andere scheinen auf dem Fluchtweg. Andere schauen in die Luft.
„Ja…. verstörend, irgendwie verstörend.“
„Nee, das ist keine Musik.“
– Aber erinnert es Sie nicht an Sirenen, an Krieg? Wie eben jetzt?
Der Mann zieht die Augenbrauen zusammen, die Passantin neben ihm senkt den Kopf und blinzelt,
„Ja, nee. Vielleicht.“
– Darf ich fotografieren?
„Nein.“
Der Mann zieht seinen Ärmel zurecht und das Abzeichen einer Securitiy-Firma wird sichtbar. An einem Marktstand räumt eine Frau in rosa T-Shirt Birnen ein.
„Ja also, ich finde es eigentlich ganz schön, ab und zu…“
Sie wird unterbrochen vom „Chef“: „Des is doch grauenvoll, ganz grauenvoll!!!!“
Ein schlanker älterer Herr unter blauem Regenschirm strahlt Gelassenheit aus und lächelt.
„Es ist ganz ganz wunderbar!“ Ich staune. „Aber ich bin ja auch fast ein Teil des Teams von Radio Revolten.“ Ich staune nicht mehr.
Ein Youngsterpärchen, lange Haare, Kinnbärtchen (nur er), schwarze Klamotten:
„Also, ich finde das ganz schön seltsame Musik. Nichts, was ich so hören würde. Warum machen die das?“ Ich sage, dass es hier um eine neue Art Musik zu machen geht… und um eine neue Art zu hören vielleicht auch und ums Radiomachen. Ihre Mienen schwanken zwischen Neugierde und Unglaube. Fotografieren wird erlaubt.
Der Lebkuchenherzverkäufer mit seiner Tochter findet die Klänge oft „zu laut“, aber eigentlich ganz interessant. „Wenn es mit Melodie ist, ist es ja fast Musik. Aber diese störenden Töne zwischendrin sind nicht schön.“
– Das Leben ist doch auch nicht immer schön, da kommen doch auch andauernd störende Töne oder irgendwas anderes dazwischen, schlage ich vor.
„Aber wenn ich ein Radio anstelle, dann weiß ich ja, was kommt und was ich hören will, da habe ich eine Wahl und das macht für mich den Unterschied. Ich kann bestimmen, was ich hören will, hier auf dem Marktplatz kann ich das aber nicht. Und wie gesagt, mal ist es ganz okay, aber dann ist es wieder schrecklich.“
Zusammengefasst sagen viele Passanten, dass es zu laut sei. Einigen traue ich dabei auf jeden Fall zu, zu Hause oder im Auto sehr viel lautere Musik zu hören, aber die ist dann halt „schöner“?
19:43 Ulrichkirche
Die drei Mädchen an der Garderobe stecken die Köpfe zusammen, eine Frau arrangiert die Wein- und Orangensaftgläser in mathematisch genauen Abständen auf einem Tischchen. Der Mann von der Weinbar geht eine Light-Zigarette rauchen. Seit kurzem sind die Reden und Ansprachen der großen Eröffnung vorbei und das darauf folgende Konzert ist sehr sehr schön. Die Leute sitzen versunken, die im Kirchenraum in der Musik, die im Foyer in die Bildschirme ihrer Mobiltelefone.
21:00
Im Club der Radiorevolten tobt noch nichts, dafür kann man die Lampen und Lichtspiele und die Schatten umso besser betrachten. Der DJ geht prüfend vor den Boxen auf und ab. Im Garten wird Tischtennis gespielt, das Büffet ist lecker und ausgesprochen vegan. Später wird es lauter.