Glocken und Tiere

30. Okt., 18:20

Da sind Lichter und da sind Schatten. Da ist ein trompetender Elephant in dem Radio, das ich in meiner Hand halte, dann ein Geräusch, als ob ein Seil über Betonboden schlittert. In einer Entfernung von vielleicht 10 Metern stehen andere Leute wie ich: Silhouetten mit Radios in ihren Händen. Von oben erklingt das Glockenspiel des Roten Turms… Einzelnoten und Akkorde und kurze a-melodische Sequenzen. Eine Gruppe Kinder rennt hin und her, umkreist mich. Ein Mann kommt vorsichtig heran und starrt auf mein Radio, das unvermittelt mit den Schreien tropischer Vögeln erzittert. Dann bleibt es stumm, aber ich höre andere Vogelschwärme aus den Geräten meiner fernen Nachbarn auffliegen.

Hans W. Kochs Kompositon »glocke+tier« für Glockenspiel und zwei Gruppen von Performern mit tragbaren Radiogeräten (und auf zwei unterschiedlichen Frequenzen) hatte um 18 Uhr auf dem Marktplatz begonnen, und die Bürger von Halle eilten beschäftigt mit letzten Sonntagsgängen über den weiten Platz, in ihren Händen Taschen und Tüten haltend, Mobiltelefone oder Regenschirme.

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Während das Konzert seinen Lauf nahm, begannen die Performer umher zu schlendern. Das Flattern, Quicken, Heulen und Knurren verteilte sich als changierendes Klangmuster von einem Ende des Marktplatzes zum anderen reichend, durchbrochen von Getrappel auf Pflasterstein, Gesprächsfetzen, Kinderlärm, von dem Vorbeizischen nasser Fahrradreifen, dem Klappern von Skateboards, von Kichern und Gelächter. Die ganze Zeit über tönten und klangen die Glocken und ergaben sich einem Zusammenspiel überraschener Intervalle, seltsamer Übereinstimmungen oder einander ergänzender Harmonien.

So außergewöhnlich die Verbindung zwischen Tieren und Glocken auf den ersten Blick erscheinen mag, nach und nach verwandelte sich der gesamte Ort in ein interaktives mobiles Orchester. Und mit den langen, über schwarzen Asphalt gleitenden Schatten der Passanten und Performer gewann die Szenerie etwas von einem magischen Schattentheater.