5. Okt. 17:25
Interview mit Myke Dodge Weiskopf am Tag nach seiner Performance und knapp 10 min vor seiner Radioshow im Revoltenstudio. Es hat ein bisschen gedauert, es hier einzufügen…. nebst ein paar »rauschenden« Herausvergrößerungen aus den älteren Fotos.
– Deine gestrige Performance »Night Flights« sollte ja ziemlich lang gehen, oder?
Ja. Acht Stunden.
– Ich hatte dabei über Deinen Umgang mit Zeit nachgedacht und, wie Du von einem Sound zum nächsten übergehst. Hast du eine spezielle Beziehung zu diesen »Dauer-Events«… wie Langstreckenflügen?
Das Konzept entstand im Grunde aus einem Projekt des Komponisten Terry Riley aus den 1960ern in NY. Terry hatte eine Arbeit mit dem Titel »Poppy Nogood and the Phantom Band« gemacht, ein bahnbrechendes Album, ausgelegt für Saxofon, Orgel und Tonband(echo). Also veranstaltete er diese Konzerte in NY und nannte sie »Night Flights«. Da kommt das also her. Er führte diese Konzerte in irgendwelchen Lofts in NY durch und machte damals genau das, was ich hier gemacht habe. Er fand einen Ort für Leute, die dort hin kommen und über die ganze Nacht bleiben würden, während er seine Performance abzog.
Es ist eine Kombination aus Terrys Einfluss und auch die von David Goran, einem Freund, mit dem ich verschiedene Sendungen während eines Radiofreundetreffens an der Ostküste realisiert hatte. David hatte ein Projekt namens »The Shortwave Shindig« gegründet, bei dem es ebenfalls um das Abspielen von Radiosamples über einen längeren Zeitraum ging. Also ist es eine Kombi aus Davids Arbeiten, Terrys Werken und auch meinen aus der Zeit, die ich in der »Burning Man«-Community zugebracht habe, wo wir Parties in der Wüste oder in den Wäldern veranstalteten.
– (Begeistert) Ahhh! Burning Man! Du gehört dazu?
Ja.
– Großartig! (…) Während der Performance trugst Du so eine Art Festgewand…
Das marrokkanische Gewand, ja.
– …und Du hast diese drei Äpfel auf dem Pult arrangiert, so dass es ein bisschen wie ein Altar aussah… mir kam der Begriff des Rituals in den Sinn, aber vielleicht ist das das falsche Wort?
Es ist keinesfalls das falsche Wort. Es ist wirklich eine Zeremonie! Weil… für mich, also was ich selbst dazu beitrage, ist nicht nur für die Leute. Es ist auch für mich und es ist eine Reise, auf die ich die Menschen mitnehme. Es hat eine spirituelle Dimension für mich. Weißt du, meine Beziehung zu diesen Klängen ist sehr emotional und reicht sehr tief. Das sind die Töne, mit denen ich fast mein ganzes Leben bisher zugebracht habe, die in mir wiederklingen, zu denen ich mich hingezogen fühle oder von ihnen in mancher Hinsicht sogar wie besessen bin. Und wenn man den Dingen lauscht, die auf so einem Flug passieren, also da sind Gebete… Meeresrauschen… Strahlung, es ist eine Mixtur von natürlichen Klängen und solchen, die von Menschen gemacht sind.
Weißt du, ich habe mit diesem Projekt überhaupt nur angefangen, weil ich einen Weg suchte, andere Menschen in diese Klangwelt zu bringen, die in meinem Kopf existiert und dies in der Art, in der ich sie in meinem Kopf wahrnehme, jeden Tag. Es ist eine spezielle Art und Weise, in der mein Gehirn Klänge in Kombination bringt und vor allem auch die Kräfteverhältnisse zwischen diesen Sounds.
– Was ist mit den Kurzwellen?
Ich verwende eine Menge an Kurzwellen und mische sie natürlich unter. Mir gefällt es, wenn es nicht ganz klar ist, woher das Material stammt und was es ist.
– Hm, ich erinnere mich an so etwas wie Kirchenglocken, einen Ozean und ein Flugzeug… aber dann war da noch ein unterliegendes Muster, eine weitere Struktur.
Genau. Es bewegt sich… bewegt sich in einer Weise… wie… Wenn du Zeit in der Natur verbringst und dann in der Welt des Radios und dann in den Räumen dazwischen… Es verändert sich andauernd. Die Performance an sich hat… also sie hat ein Grundgerüst, eine lose Struktur, die ich im Kopf habe, aber auch das verändert sich sehr von Auftritt zu Auftritt.
Das hat etwas mit dem Publikum zu tun und mit der Atmosphäre, jede Performance ist da anders. Und ich trete viel draußen auf, in der Wüste. Also spielt es auch eine große Rolle, was für Leute da sind, in welcher Umgebung. Hier bin ich hergekommen mit dem Radio als einem Hauptaspekt, folglich habe ich mich bemüht, mehr Radiosounds zu verwenden. Ich habe sogar eine ganzes Set neuer Stücke in der Jugendherberge extra für das Programm gemacht.
– Woher hast du das Material genommen, aus dem deutschen Radio?
Nein… ich habe ein riesiges Soundarchiv, abertausende von Sounds. Seit 25 Jahren sammle ich Klänge, also ist es eine Verbindung von Fieldrecordings und Kurzwellen-Aufnahmen, die ich in der ganzen Welt aufgenommen habe. Ich fahre zu diesen Orten hin, für eine Woche oder zwei und verbringe meine ganze Zeit damit, Aufnahmen zu machen mit meinen Mikrofonen und meinen Radios und das ist mein Material. Und auch jedesmal, wenn ich unterwegs bin, mach ich Aufnahmen, wie jetzt am Flughafen in Chigaco. Ich bleibe stehen und nehme mir Zeit, um interessante Klänge zu finden und webe sie dann in meine Stücke ein. Es ist ein sich stetig weiter entwickelndes Werk.
– Letzte Frage: Wenn man Aufnahmen macht, ist man meist allein und wenn man seine Auswahl trifft oder komponiert, ist man auch meist allein…. und es gibt da eine scheinbar riesige Kluft zwischen diesem Alleinsein und dem Hintreten vor ein gigantisches Festivalpublikum wie bei Burning Man oder wie hier, wo es auch eine große Gemeinschaft gibt. Was macht das mit Dir, dieser Unterschied? Gibt es da eine Spannung?
Ich empfinde das eigentlich nicht als Spannung. Eher wandelt es diese Auftritte in eine Bereicherung für mich, weil das die Art ist, in der ich mit den Menschen in Kontakt treten kann. In diesem Aspekt des Eintauchens in die Performance, dass sie lange geht, liegt für mich ein wichtiger Zweck. Ich offenbare mich dort in einer sehr persönlichen Weise. Das ist wie ein Dokument, nicht nur meiner persönlichen Klangreise, sondern auch meines Lebens. Es wird zu einem Resümee der Dinge, die mich als Mensch, aber auch als kreative Person ausmachen.
– Ist es schon mal während einer Deiner Night-Flight-Performances passiert, dass jemand hinterher nicht wieder aufgestanden ist? Werden Leute bewusstlos?
Absolut. Das hier (bei RR) war eher eine Ausnahme. Normalerweise kommen die Leute zu meiner Performance und gehen wirklich währenddessen schlafen. Und sie stehen nachher auch nicht unbedingt auf. Manche schlafen stundenlang weiter. Also… es ist ein Werk, das dazu bestimmt ist, in Deiner eigenen Zeit zu spielen, du erfährst es für dich. Es ist nicht gedacht für aktives Zuhören, vielmehr aktiviert es Dich in den Bereichen des Gehirns, wo die Imagination zuhause ist, also jenen Regionen, zu denen man keinen bewussten Zugang hat. Das ist der Ort, wo es am besten funktioniert.